Der Begriff Zeitenfolge, oder die consecutio temporum, beschreibt die äußerst schlichte Tatsache, dass sich unser Leben in der Zeit abspielt. Am Anfang steht die Geburt und am Ende der Tod. So würden depressiv Veranlagte das beschreiben. Pragmatiker, die ja dazu neigen über die Abgründe des Lebens hinwegzugleiten, ohne sich deren bewusst zu werden, würden einfach sagen, dass die Handlungen auf einer Zeitschiene ablaufen. Handlungen können zu anderen Handlungen vorzeitig, gleichzeitig oder nachzeitig sein und der Anker kann in der Gegenwart und der Vergangenheit sein.
Der Begriff bezieht sich auf die Verbformen. Das heißt die Verbform selbst kann Vorzeitigkeit, Gleichzeitigkeit und Nachzeitigkeit ausdrücken. Würde man die zeitlichen Verhältnisse über Adverbien ausdrücken, bräuchte man den Begriff nicht. Dann wäre es wie bei den räumlichen Verhältnissen, die ja auch über Adverbien beschrieben werden.
Anker ist die Gegenwart
vorzeitig:
Er zieht den Vorhang zurück, und sieht, dass es geschneit hat.
gleichzeitig:
Er zieht den Vorhang zurück und sieht, dass es schneit.
nachzeitig:
Er zieht den Vorhang zurück und sieht, dass es schneien wird.
Anker ist die Vergangenheit
vorzeitig:
Er zog den Vorhang zurück, und sah, dass es geschneit hatte.
gleichzeitig:
Er zog den Vorhang zurück, und sah, dass es schneite.
nachzeitig:
Er zog den Vorhang zurück und sah, dass es schneien wird.
Wie deutlich zu sehen, haben wir keine Adverbien. Es ist die Zeitform selbst, die uns über die zeitlichen Verhältnisse informiert. Zumindest alle indogermanischen Sprachen drücken die Zeitenfolge durch ein mehr oder weniger stabiles System, im Deutschen eher weniger als mehr, über die Verbformen aus. Vorstellbar ist natürlich, dass man die Abfolge über Adverbien ausdrückt. In diesem Fall brauchen wir nur eine Zeit.
vorzeitig:
Er zieht den Vorhang zurück, und sieht, dass es zuvor schneit.
gleichzeitig:
Er zieht den Vorhang zurück und sieht, dass es gerade schneit.
nachzeitig:
Er zieht den Vorhang zurück und sieht, dass es bald schneit.
Die Zeitenfolge beschäftigt die Menschheit in zwei Zusammenhängen. Zum einen in der indirekten Rede, weil dann geklärt werden muss, ob das Ereignis, das jemand schildert, vor, gleichzeitig oder nach dem Sprechzeitpunkt stattgefunden hat und der Sprechzeitpunkt in der Gegenwart oder der Vergangenheit liegen kann. Zum anderen begegnet uns die Zeitenfolge, wenn ein Vorgang imaginiert wird, weil etwas erhofft, befürchtet, gewünscht, geglaubt, vermutet etc. wird. Auch hier ist zu klären, ob das Imaginierte vor, gleichzeitig oder nach dem Zeitpunkt der Imagination stattgefunden hat, wobei der Zeitpunkt der Imagination in der Vergangenheit, der Gegewart des Sprechers oder der Zukunft liegen kann.
Da dies immer wieder Verwirrung stiftet und in allen Grammatiken falsch dargestellt wird, sollte man sich klar machen, dass die indirekte Rede in den romanischen Sprachen lediglich ein Spezialfall der Zeitenfolge im Allgemeinen ist. Es gibt folglich in diesem Lehrbuch kein eigenes Kapitel zur indirekten Rede, weil die indirekte Rede in den romanischen Sprachen, im Gegensatz zum Deutschen, kein eigenes System ist. Für Verben wie dizer (sagen), contar (erzählen), ordenar (befehlen) etc., die eine indirekte Rede einleiten können, gelten bezüglich der Zeitenfolge dieselben Regeln wie bei den Verben der mentalen Durchdringung, pensar (denken), saber (wissen), etc.. die den indicativo verlangen.
Bei den Verben wie esperar (hoffen), temer (fürchten), achar (glauben, die den conjuntivo verlangen, gilt die gleiche Logik, bis auf die Tatsache eben, dass anstatt des presente do indicativo der presente do conjuntivo, anstatt des imperfeito do indicativo der imperfeito do conjuntivo, anstatt des mais-que-perfeito do indicativo der mais-de-pereito do conjuntivo benutzt wird.
Abweichungen gibt es lediglich, und nur im Portugiesischen, bei abgeschlossenen Handlungen, wenn der Anker die Gegenwart ist. Da der pretérito perfeito composto do indicativo im Portugiesischen für einen sehr speziellen Kontext reserviert ist, wird die abgeschlossene Handlung im pretérito perfeito simples do indicativo geschildert, wenn das Verb den indicativo verlangt und der Anker die Gegenwart ist. Kurioserweise hat aber der pretérito perfeito composto do conjuntivo denselben semantischen Wert wie in den anderen romanischen Sprachen. Verlangt das Verb also den conjuntivo und ist der Anker die Gegewart, wird die abgeschlossen Handlung, deren Bedeutung bis in die Gegenwart reicht, im perfeito composto do conjuntivo beschrieben. Schematisch ergibt sich folgendes Bild. Die Tabelle unten kann man jetzt auswendig lernen, was hoffnungslos ist, oder sich die Logik dahinter klar machen. Im Indikativ funktioniert das nämlich im Deutschen im Grunde genau gleich. (Nochmal: Wer die Logik versteht, kann sich die Regeln sparen und die Logik ist nicht besonders schwierig zu verstehen. Verstehen anstatt Regeln auswendig lernen hat noch einen Vorteil. Hat man es einmal verstanden, versteht man es bei allen Sprachen, denn es ist immer dasselbe. Durch den Funktionswandel de pretérito perfeito composto weicht das Portugiesische System leicht von anderen Sprachen ab, aber das macht den Kohl nicht fett.)
INDICATIVO
Ereignis hat sich ereignet..
Gegenwartszeit
Vergangenheitszeit
vorzeitig
ausfransende Ränder
imperfeito
imperfeito
abgeschlossene Handlung
perfeito simples
mais-que-perfeito composto
(vereinzelt auch perfeito simples)
Handlung wiederholt sich bis in die Gegenwart des Sprechers
pretérito perfeito composto
mais-que-perfeito composto
gleichzeitig
allgemeine Aussage
presente
imperfeito
Verlaufsform
estar + infinitivo / Gerundio
estar (imperfeito) + infinitivo / gerundio
nachzeitig
Handlung nicht abgeschlossen
futuro
condicional oder ir (imperfeito) + infinitivo
abgeschlossene Handlung in der Zukunft
futuro II
condicional composto
CONJUNTIVO
Ereignis hat sich ereignet...
Gegenwartszeit
Vergangenheitszeit
vorzeitig
perfeito composto do conjuntivo
mais-que-perfeito composto do conjuntivo
gleichzeitig
presente do conjuntivo
imperfeito do conjuntivo
nachzeitig
presente do conjuntivo
imperfeito do conjuntivo
(vereinzelt auch condicional)
Im folgenden haben Sie Ereignisse, die imaginiert bzw. über die berichtet wird. Da aus der deutschen Übersetzung nicht immer eindeutig hervorgeht, ob das imaginierte / berichtete Ereignis vor-, gleich- oder nachzeitig zum Zeitpunkt der Imagination bzw. des Sprechzeitpunktes ist, wird dies nochmal angeben. Die Verben der Imagination, die den indicativo verlangen sind vermischt mit den Verben, die den conjuntivo verlangen, allerdings werden Ihnen nur die passenden Optionen, also entweder conjuntivo oder indicativo angeboten, da bei manchen Verben der Modus davon abhängt, für wie wahrscheinlich der Eintritt des Ereignisses gehalten wird. Da ohne Kontext hier keine Entscheidung möglich ist, wird der Modus vorgegeben.