17. Passiv


Rein grammatikalisch bedeutet Passiv, dass das Subjekt nicht mehr Ausführender der durch das Verb beschriebenen Handlung ist, sondern das Ziel.

Aktiv: Er repariert das Auto.
Passiv: Das Auto wird von ihm repariert.


Will man sich klar machen, wer Subjekt eines Satzes ist, braucht man den Teil des Satzes, den man für das Subjekt hält, nur in den Plural setzen. Ändert sich dann das Verb, dann war die Vermutung richtig, denn das Subjekt regiert das Verb.

Plural: Die Autos werden von ihm repariert.

Das klärt allerdings noch nicht, warum es diese Form überhaupt gibt. Eine Verb beschreibt eine Handlung und eine Handlung hat einen Urheber und folglich besteht normalerweise kein Bedarf an Konstruktionen vom Typ "Der Kuchen wird von ihm gebacken". Ein schlichtes "Er backt den Kuchen" reicht völlig.

Den Passiv gibt es, weil eine Handlung zwar immer, sieht man von regnen, schneien, hageln etc. ab, einen Urheber hat, aber es gibt mehrere Gründe, warum dieser nicht genannt wird.

1. Urheber schlicht unbekannt: Mein Geldbeutel wurde gestohlen.
2. Zielgruppe bekannt aber diffus: Die Orangen werden geschält und mit Zimt bestreut.
3. Irrelevant: In Europa wird zuviel Plastikmüll produziert.
4. Der Urheber soll verschleiert werden: Die Ware wurde aufgrund von Lieferzögerungen noch nicht ausgeliefert.


Bei 1. ist der Urheber ganz offensichtlich unbekannt. Wäre er bekannt, hätte er ein gute Chance, seinen Geldbeutel zurückzubekommen.

Die Zielgruppe bei 2. ist bekannt. Es sind eben alle Leute, die sich das Rezept in einem Kochbuch durchlesen. Man könnte in diesem Fall natürlich auch mit dem Leser in einen freundlichen, virtuellen Dialog eintreten, "Sie schälen die Orangen und bestreuen sie mit Zimt", aber das ist bei Behörden unter deren Würde. Dort heißt es eher: Der Antrag muss unterschrieben werden.

Bei 3. haben wir mehrere Gruppen von Urhebern, die könnte man jetzt alle einzeln aufzählen. Darauf kommt es aber im Ergebnis nicht an. Entscheidend ist, dass zuviel Müll produziert wird, von wem auch immer.

4. heißt eigentlich "Wir haben es verpeilt, die Ware fristgerecht abzuschicken." Durch die Wahl des Passivs wird von der Tatsache, dass es einen konkreten Urheber für die Lieferzögerung gibt, durch das Passiv etwas abgelenkt. Weiter entspricht das Passiv eher der Logik von Behörden. Bei Behörden ist nie jemand konkret für irgendwas verantwortlich. Behörden sind perfekt in der Verschleierung der persönlichen Verantwortung: Es heißt nicht "Über ihren Antrag entscheidet XY", was ja irgendwie zutreffend sein muss, irgendjemand trifft da wohl eine Entscheidung, sondern "Über Ihren Antrag wird entschieden".

Vermutlich hat das Passiv noch alle möglichen Nebenbedeutungen. Ein odre du mufti z.B. kann im Passiv formuliert werden.

Es wird so gemacht.

Fast das gleiche wie der Passiv leistet das Indefinita man und die meisten Sprachen, zu denen Englisch komischerweise nicht gehört, haben auch ein Äquivalent für das deutsche man. Allerdings kann ein passivischer Satz nicht immer in einen aktivischen Satz mit man überführt werden. Beim ordre du mufti z.B. geht es nicht.

1) Es wird so gemacht.
2) Man macht das so.

1) ist eine Anweisung. 2) beschreibt lediglich eine Gewohnheit. Allgemein kann man sagen, dass das Indifinita man allgemeiner ist, der Ausführende der Handlung abstrakter ist.

a) Das Auto wird repariert.
b) Man repariert das Auto.

In diesem konkreten Fall würden wohl die meisten Deutsch Muttersprachler a) vorziehen. Wird ein Auto repariert, dann besteht schon eine klare Vorstellung, wer es repariert. Das Indefinita man würde in diesem Kontext suggerieren, dass der Urheber der Handlung vollkommen unbekannt ist. Besteht eine mehr oder weniger präzise Vorstellung darüber, wer die Handlung ausführt, dann ist das Passiv die bessere Option.

c) Die Kirschen werden gepflückt.
d) Man pflückt Kirschen.

Das Indefinita man ist ausgreifend, jeder kann Ausführender der durch das Verb beschriebenen Handlung sein. Das man in einem Satz wie "Man muss lernen, Fragen zu stellen und diese Fragen selber zu beantworten" bezieht sich eben auf jedermann und jederfrau. Der Satz "Man pflückt Kirschen" kann nicht richtig sein, denn soviele Kirschbäume gibt es nirgends. Ein Satz wie "Man isst mit Messer und Gabel" beschreibt eine Gewohnheit, alle tun das. Das man in "Man pflückt Kirschen" kann nicht dasselbe man sein.

Viele Sprachen, darunter das Portugiesische und Spanische, nicht aber das Französische und Italienische, unterscheiden ganz klar zwischen einem Vorgangspassiv und einem Zustandspassiv. Das Vorgangspassiv wird im Deutschen mit werden gebildet, das Zustandspassiv mit sein.

1) Vorgangspassiv: Als wir ankamen, wurde der Kuchen gegessen.
2) Zustanndspassiv: Als wir ankamen, war der Kuchen gegessen.


Im Einzelfall kann, exempla statut, der Unterschied zwischen einem Vorgangspassiv und einem Zustandspassiv erheblich sein. Bei 1) gibt es nämlich noch eine Chance, ein Stück der Torte zu bekommen. Bei 2) besteht diese Möglichkeit nicht mehr. Das Vorgangspassiv beschreibt den Prozess selbst, das Zustandspassiv das Resultat eines Prozesses. Wie im Spanischen auch, wird im Portugiesischen das Vorgangspassiv mit ser gebildet, das Zustandspassiv mit estar.

Das Vorgangspassiv ist im Portugiesischen weit seltener, als im Deutschen, weil es im Portugiesischen, wie auch im Italienischen und Spanischen, hierzu eine Alternative gibt, das se apassivante bzw. das se impessoal. Wir kommen darauf zurück, siehe 17.1.

Das Vorgangspassiv wird gebildet mit dem Hilfsverb ser und dem Partizip Perfekt, das Zustandspassiv wird gebildet mit dem Hilfverb estar und dem Partizip Perfekt. Die Tabelle unten zeigt nur die Konjugation im indicativo und nur in der 3.Person Singular. Das Schema ist aber einfach. Die Übersetzung beruht auf formalen Entsprechungen und macht keine Aussagen darüber, ob sich die Zeiten auch funktional entsprechen.

VorgangspassivPortugiesischDeutsch
SubjektHilfsverbPartizipÜbersetzung
presenteA maçãé comidaDer Apfel wird gegessen.
imperfeitoA maçã era comidaDer Apfel wurde gegessen.
perfeito simplesA maçã foi comidaDer Apfel wurde gegessen.
perfeito compostoA maçã tem sidocomidaDer Apfel ist gegessen worden.
mais-que-perfeitoA maçã tinha sido comidaDer Apfel war gegessen worden.
futuro simplesA maçãserácomidaDer Apfel wird gegessen werden.
futuro compostoA maçãterá sido comidaDer Apfel wird gegessen worden sein.
condicional simplesA maçãseria comidoDer Apfel würde gegessen.
condicional composto A maçã teria sidocomidoDer Apfel würde gegessen worden sein.


Grammatiken betonen, dass beim Passiv das Partizip Perfekt in Genus und Numerus mit dem Sujekt des Satzes übereinstimmen muss, was zweifelsfrei richtig ist.

femininum / Singular A maçã é comida.
femininum / Plural: As maçãs são comidas.
maskulinum / Singular: O livro é lido.
maskulinum / Plural: Os livros são lidos.


Fraglich ist nur, ob es sich hierbei tatsächlich um eine spezielle Regel handelt. Ser ist ein Kopulaverb, weist also dem Subjekt des Satzes die durch das Prädikatsnomen beschriebene Eigentschaft zu. "Das Haus ist rot" z.B. beschreibt ein rotes Haus. (Puh! Wer hätte das gedacht!) Das Prädikatsnomen stimmt in Genus und Numerus immer mit dem Subjekt überein, das ist keine Besonderheit des Passivs. Diese Sätze sind strukturgleich.

As maçãs são vermelhas. <=> Die Äpfel sind rot.
As maçãs são comidas.>=> Die Äpfel werden gegessen.

Der passivische Charakter ergibt sich auch nicht aus der Gesamtkonstruktion, sondern allein aus dem Partizip Perfekt, denn dieses hat, bei transitiven Verben, immer passivischen Charakter. Ein gelesenes Buch ist ein Buch, das gelesen worden ist. Das gleiche gilt auch für estar. Auch dieses ist ein Kopulaverb und das Prädikatsnomen stimmt in Genus und Numerus mit dem Subjekt des Satzes überein.

ZustandspassivPortugiesisch Deutsch
SubjektHilfsverbPartizipÜbersetzung
presenteA maçãestá comidaDer Apfel ist gegessen.
imperfeitoA maçã estava comidaDer Apfel war gegessen.
perfeito simplesA maçãestevecomidaDer Apfel war gegessen.
perfeito compostoA maçã tem estadocomidaDer Apfel ist gegessen gewesen.
mais-que-perfeitoA maçã tinha estado comidaDer Apfel war gegessen gewesen.
futuro simplesA maçã estará comidaDer Apfel wird gegessen sein.
futuro compostoA maçã terá estadocomidaDer Apfel wird gegessen gewesen sein. *
condicional simplesA maçã estariacomidoDer Apfel würde gegessen.
condicional composto A maçã teria estado comidoDer Apfel würde gegessen sein.


* Diese Konstruktion ist was für Metaphysiker. Man wird sie in der Praxis nie vorfinden, aber theoretisch könnte man damit Vermutungen ausdrücken. "Die Bank wird wohl schon ausgeraubt gewesen sein, als die zweiten Räuber den Tresor





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knackten." Die Konstruktion ist auch im Portugiesischen möglich und dort höchstwahrscheinlich so selten wie im Deutschen.