9.1. Die Zeiten in Germania


Die Unterscheidung zwischen

imperfecto (Spanisch) / imperfeito (Portugiesisch) / imparfait (Französisch) / imperfetto (Italienisch)

einerseits und

indefinido (Spanisch) / perfeito simples (Portugiesisch) / passé composé - passé simple (Französisch) / passato prossimo - passato remoto (Italienisch)


wird noch in allen romanischen Sprachen gemacht, wobei im Italienischen und Französischen in der Umgangssprache das passato prossimo / passé composé das passato remoto / passe simple verdrängt hat.

(Wobei die Italiener die glücklicheren Namen verwenden. Ob die Zeit composé ist, also mit einem Hilfsverb und einem Partizip gebildet wird (ich habe gegessen) oder eine eigene Form hat (ich aß) ist weitgehend egal. Entscheidend ist aber, dass mit der einen Zeit eine Handlung beschrieben wird, die nah an der Gegenwart des Sprechers ist, mit der anderen eine Handlung oder ein Ereignis, das keinen Bezug mehr hat zur Gegenwart. Der Ausdruck passato prossimo, nahe Vergangenheit, bringt das zum Ausdruck.)

Schauen wir uns Lehrwerke an, finden wir überall die Feststellung, dass es sich beim Zeitensystem der romanischen Sprachen um ein System handelt, dass völlig anders funktioniert, als das deutsche System und folglich für Deutsch Muttersprachler nur als abstraktes System von Regeln erlernbar ist. In diesem Fall haben wir eine solche Aussage aus dem Internet gefischt, wo man ohne große Mühe Hunderte ähnlicher Feststellungen finden kann.

Um etwas in der Vergangenheit auszudrücken sind für Italienischlerner insbesondere zwei Zeitformen von Bedeutung: das passato prossimo und das imperfetto. Das passato prossimo beschreibt sowohl vergangene und gerade erst abgeschlossene Handlungen, als auch Handlungen, die schon vor längerer Zeit stattgefunden haben. Das imperfetto hingegen beschreibt etwas Vergangenes, für das es keinen exakten Zeitpunkt gibt (weder Beginn, noch Ende). Zum Beispiel: Splendeva il sole. (Die Sonne schien.). Für Italienischlerner mit Deutsch als Muttersprache ist es schwierig, passato prossimo und imperfetto auseinander zuhalten, weil es diese Unterscheidung im Deutschen gar nicht gibt.
Passato prossimo und imperfetto – Erklärung und Verwendung

Die Aussage ist falsch und erschwert das Verständnis des Zeitensystem der romanischen Sprachen. Falsch ist es, weil diese Unterscheidung auch im Deutschen sehr wohl getroffen wird, aber nur in kritischen Situationen relevant ist.

Die Aussage, dass mit dem passato prossimo sowohl abgeschlossene Handlungen beschrieben werden, wie auch Handlungen mit Bezug zur Gegenwart ist problematisch, weil die Verhältnisse komplizierter sind, siehe passato prossimo bzw. passato remoto, aber das ist nicht der entscheidende Punkt.

Uns interessiert lediglich die Aussage, dass diese Unterscheidung zwischen imperfetto und passato prossimo für Deutsche schwer nachvollziehbar ist.

Vergleichen wir diese Sätze und prüfen wir, ob diese Unterscheidung für Deutsch Muttersprachler tatsächlich schwer nachvollziehbar ist.

richtig: Als ich zum letzten Mal da war, hing das Bild noch an der Wand.
falsch: Als ich zum letzten Mal da war, hat das Bild noch an der Wand gehangen.
richtig: Im Dezember lag da immer Schnee.
falsch: Im Dezember hat da immer Schnee gelegen.


Beschrieben wird ein Zustand, das an der Wand hängende Bild, von dem wir nicht wissen, wann er eingesetzt hat und wir wissen auch nicht, ob er noch andauert. Wir kennen also weder den Beginn, noch das Ende. Es ist sehr gut möglich, dass das Bild da immer noch hängt und dort auch weiterhin im Dezember Schnee liegt.

Wir wählen aber in einem solchen Fall das Imperfekt und nicht das Perfekt. Wir unterscheiden also, auch wenn der Spotlight Verlag und Tausend andere das Gegenteil behauptet, zwischen einer Zeit, mit der sich Handlungen, Zustände und Ereignisse beschreiben lassen, die an den Rändern ausfransen und einer Zeit, mit der wir abgeschlossene Handlungen in abgeschlossener Vergangenheit beschreiben. Wir können also sehr wohl nachvollziehen, was bei einem Brasilianer oder Portugiesen ankommt, wenn wir einen perfeito simples wählen, wo eigentlich ein imperfeito hingehört. Das ist ganz hervorragend nachvollziehbar.

Umgekehrt muss im Deutschen, wie bei den romanischen Sprachen auch, bei starkem Gegenwartsbezug der Perfekt stehen. Wer morgens aus dem Fenster schaut und eine verschneite Landschaft sieht, der sagt:

richtig: Es hat geschneit!
falsch: Es schneite!

Frage der einen den anderen, ob er etwas essen wolle und verneint dies der Angesprochene, weil er schon gegessen hat, dann steht der Perfekt, weil eine Handlung der Vergangenheit, essen, unmittelbar die Gegenwart beeinflusst.

A: Hast du Hunger?
B: Nein, ich habe gerade gegessen.
nicht: Nein, ich aß gerade.

Wir stellen jetzt das Zeitensystem der romanischen Sprachen im Allgemeinen dar. An einem entscheidenden Punkt, einem sehr entscheidenden, weicht das Portugiesische von diesem System aber ab. Handelsübliche Grammatiken neigen dazu, zwischen der Fremdsprache und der Muttersprache fundamentale Unterschiede zu konstatieren, bzw. keinen Vergleich vorzunehmen. Hier wird genau das Gegenteil gemacht. Hier geht es darum, darzustellen, dass sich die Fremdsprache und die Muttersprache im Kern ähnlich sind. Das scheint der günstigere Ansatz zu sein. Anstatt die Fremdsprache als ein System darzustellen, dessen Logik sich nicht erschließen lässt und das folglich als abstraktes Regelwerk auswendig zu lernen ist, soll gezeigt werden, dass die Fremdsprache der gleichen Logik folgt.

[Wer es philosophisch will: Dieser Ansatz ist möglich, weil das Gehirn bestimmte Vorstellungen hat, wie es die Realität verbal darstellen will und das ist völlig unabhängig davon, ob wir die Unterscheidungen, die das Hirn trifft, logisch oder notwendig finden. Ob sich diese Art der verbalen Darstellungen der Realität durchsetzen lässt, hängt vom morphologischen Material ab.]

Das passato prossimo / passé composé / pretérito perfecto / passato prossimo beschreibt Handlungen, die in der Vergangenheit eingetreten sind, deren Auswirkungen aber noch in der Gegenwart spürbar sind. Das macht das deutsche Perfekt aber auch. Der vom Spotlight Verlag konstatierte fundamentale Unterschied, Zitat oben, zwischen dem Italienischen und anderen romanischen Sprachen einerseits und dem Deutschen andererseites existiert so nicht.


Die Frage ist, wie der Spotlight Verlag und Tausend andere zu dieser irrigen Auffassung kommen. Sie kommen zu dieser irrigen Auffassung, weil etwas bei der schulischen Grammatikvermittlung schief gelaufen ist. Insofern ist er Leidensgenosse von Bastian Sick. Das ist der, der mit einem Kugelschreiber durch die Lande wandert und vermeintliche Fehler notiert, die er dann als Zwiebelfische gewinnbringend verkauft. Leider hat er auch eine Kolumne im Spiegel. Dort schreibt er:

Die deutsche Sprachwissenschaft hat wesentliche Impulse von der französischen Philologie erhalten - und daher stammt auch die Bezeichnung Imperfekt (frz. imparfait), denn im Französischen wird zwischen einfacher Vergangenheit (passé simple) und unvollendeter Vergangenheit (imparfait) unterschieden. Diese Unterscheidung gibt es aber im Deutschen nicht. Wir haben kein "passé simple", sondern nur eine (erste) Vergangenheitsform. Und eben diese als "unvollendet" zu bezeichnen, ist in den Augen vieler Deutschlehrer und Germanisten irreführend, denn die Vergangenheitsform, um die es hier geht, bezeichnet doch gerade einen Vorgang, der abgeschlossen ist:

Ich ging allein nach Hause.
Er aß nur einen Happen.
Wir warteten auf den Bus.

Imperfekt/Präteritum

Der Mann hat Romanistik studiert. Also wir haben nicht nur ein Problem mit der schulischen Grammatikvermittlung, das Problem zieht sich durch bis an die Uni. Das Wort Imperfekt ist nicht über das Französische ins Deutsche gelangt, sondern über das Lateinische (tempus) imperfectum. Im übrigen wird das passé simple im heutigen Französisch kaum noch benutzt und seine Funktion wurde vom passé composé übernommen, das jetzt sowohl Vorgänge mit Gegenwartsbezug wie auch Vorgänge ohne Gegenwartsbezug beschreibt, also sowohl abgeschlossene Handlungen in abgeschlossener Vergangenheit wie auch Handlungen, die in der Vergangenheit eingetreten sind und einen Einfluss auf die Gegenwart haben. Das Französische imparfait allerdings wird verwendet, wenn es schlicht unklar bzw. irrelevant ist, ob die Handlung vollendet ist bzw. der Zustand noch anhält.

Bastian Sick meint, dass der deutsche Imperfekt einen Vorgang bezeichnet, der abgeschlossen ist. Wenn jemand z.B. sagen würde, dass X bei Daimler arbeitete, dann würde er dies bei Bastian Sick jetzt nicht mehr tun. Tatsache ist aber, dass der Satz "Als ich ihn zum letzten Mal sah, arbeitet er bei Daimler Benz" auch bedeuten kann, dass er da jetzt noch arbeitet. Man weiß es schlicht nicht.

Wir wissen nicht, um beim obigen Beispiel zu bleiben, ob der Zustand noch anhält, das Bild noch an der Wand hängt oder nicht. Um ein anderes, vielleicht klareres Beispiel zu wählen.

Als ich zum letzten Mal sah, ging es ihm noch gut.

Der Satz macht keinerlei Aussagen darüber, ob es ihm jetzt noch gut geht oder nicht und er macht auch keine Aussagen darüber, ab wann es ihm gut ging. Wir werden gleich sehen, dass der Imperfekt zwei Funktionen hat, aber er mitnichten immer durch das Perfekt ersetzt werden kann.

Es mag auch sein, dass viele Deutschlehrer und Germanisten glauben, dass der Imperfekt eine Zeit ist, die vollendete Vorgänge, Handlungen, Zustände oder Ereignisse beschreibt. Aber nicht alles, was irgendwelche Leute glauben ist auch tatsächlich richtig. Manche Leute glauben Dinge, die bei nüchterner Betrachtung völliger Blödsinn sind und das gilt auch dann, wenn das, woran sie glauben in allen Schulbüchern steht. Blödsinn ist Blödsinn. Egal wie und wie oft er wiederholt wird. Bei den Sätzen, die er dann als Beispielsätze nennt, handelt es sich in der Tat um vollendete Handlungen, aber in diesem Fall kann das Imperfekt durch das Perfekt ersetzt werden. (Was der gute Bastian in dem Artikel selber bestätigt.)

Er ging allein nach Hause. => Er ist alleine nach Hause gegangen.
Er aß nur einen Happen.=> Er hat nur einen Happen gegessen.
Wir warteten auf den Bus. => Wir haben auf den Bus gewartet.

Wir haben also im Deutschen folgende Situation.

1) Haben wir eine Handlung, ein Ereignis, einen Zustand der an den Rändern ausfranst, dessen Beginn und Ende wir nicht kennen, dann verwenden wir das Imperfekt.

2) Haben wir eine Handlung, die in der Vergangenheit vollendet ist, können wir das Imperfekt oder das Perfekt verwenden.

3) Haben wir eine Handlung mit einem engen Bezug zur Gegenwart, dann ist nur das Perfekt möglich. Wir haben also exakt die gleiche Situation, wie in den romanischen Sprachen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir im Deutschen auch eine Schnittmenge haben, wo sowohl das Imperfekt wie auch das Perfekt möglich sind. Bei einer abgeschlossenen Handlung in abgeschlossener Vergangenheit, können wir sowohl das Imperfekt wie das Perfekt benutzen, woraus aber mitnichten folgt, dass die beiden Zeiten in jedem Kontext gegeneinander substituierbar sind.

Besteht eine Beziehung zur Gegenwart des Sprechers, etwa weil die Auswirkungen einer Handlung der Vergangenheit bis in die Gegenwart spürbar ist, dann kann nur das Perfekt stehen. Waren bei jemandem die Augen größer als der Magen und hat er mehr gegessen, als gut war, wird er das Perfekt verwenden, wenn man ihn fragt, warum er sich unwohl fühlt.

richtig: Mir ist schlecht. Ich glaube ich habe zuviel gegessen.
nicht: Mir ist schlecht. Ich aß zuviel.

Wer noch mit sich hadert, ob Deutsch Muttersprachler tatsächlich das Imperfekt verwenden, wenn ein Vorgang, eine Handlung, ein Zustand zu beschreiben ist, dessen Dauer zeitlich unbestimmt ist, der kann sich das auch logisch überlegen. Wäre die Definition des Duden, dass "das Präteritum immer dann gewählt wird, wenn ein Geschehen (eine Handlung) im Sprechzeitpunkt vergangen und abgeschlossen ist" richtig, dann würde ein Satz wie "Als ich ihn kennen gelernt habe, war er fit wie ein Turnschuh" bedeuten, dass er jetzt nicht mehr fit ist. Diese Aussage steckt aber objektiv nicht in dem Satz. Wir hätten dann zwei Vergangenheitszeiten, die beide abgeschlossene Vorgänge, Ereignisse, Zustände oder Handlungen beschreiben, aber keine, mit der sich zeitlich Unbestimmtes beschreiben lässt und eine solche Zeit brauchen wir ständig.

Das Imperfekt wird im Deutschen auch dann verwendet, auch hier besteht eine Ähnlichkeit zu den romanischen Sprachen, wenn sich ein Vorgang in der Vergangenheit immer wieder wiederholt hat, was allerdings nur ein Sonderfall der allgemeinen Verwendung ist. Ob ein Ereignis, ein Vorgang eine Handlung zeitlich unbestimmt ist oder sich mit Unterbrechungen immer wieder wiederholt, ist so ziemlich das Gleiche. In beiden Fällen ist lediglich entscheidend, dass der Zeitraum unbestimmt ist. Ein ehemaliger Straßenmusiker, der seinen Lebensunterhalt durch Spenden bestritt, wird seine Tätigkeit mit dem Imperfekt beschreiben.

richtig: Immer wenn ich kein Geld mehr hatte, gab ich ein Konzert auf der Straße.
falsch / ungewöhnlich: Immer wenn ich kein Geld mehr gehabt habe, habe ich ein Konzert auf der Straße gegeben.

Laufen zwei Handlungen parallel, dann gibt es auch im Deutschen eine Präferenz für das Imperfekt.

richtig: Er schaute sie an und vergaß, was rings um ihn her geschah.
eher nicht: Er hat sie angeschaut und vergessen, was rings um ihn her geschehen ist.

Wir kommen in Kapital 11.1 auf das Imperfekt zurück.

Wer also mal intensiv über die Verwendung des Imperfektes / Präteritum bzw. über die Verwendung des Perfektes im Deutschen nachdenkt, wird kaum Probleme haben, das System der romanischen Sprachen zu verstehen, es ist nämlich, sieht man von der Schnittmenge ab, identisch. Die Schnittmenge gibt es in den romanischen Sprachen nicht. In den romanischen Sprachen ist entweder das Imperfekt richtig oder das Perfekt. Es gibt keine Schnittmenge. Also eine Situation, wo beides möglich ist, gibt es in den romanischen Sprachen nicht.

Er ging weg. <=> Er ist weggegangen.

Im Deutschen gibt es eine Schnittmenge, die in den romanischen Sprachen nicht existiert. Einmalige Handlungen ohne Gegenwartsbezug können im Deutschen sowohl mit dem Imperfekt wie mit dem Perfekt beschrieben werden. Die Tatsache aber, dass das Imperfekt manchmal durch das Perfekt und das Perfekt durch das Imperfekt substituiert werden kann, heißt noch lange nicht, dass dies immer möglich ist.

Für das Spanische ist die Situation etwas komplizierter, weil bei Gegenwartsbezug das pretérito perfecto stehen muss und das pretérito indefinido, wenn ein solcher Gegenwartsbezug nicht vorliegt.

Im Französischen und Italienischen ist die Situation zwar theoretisch ähnlich wie im Spanischen, aber es muss dann noch unterschieden werden zwischen Schriftsprache und Umgangssprache. Wobei Schriftsprache dann Gustave Flaubert, Stendhal, Marce Proust etc. meint.

Wir werden gleich sehen, dass es eine Sprache gibt, die tatsächlich fundamental von der Systematik der romanischen Sprachen abweicht: Portugiesisch. Abgeschlossene Handlungen stehen im pretérito perfeito simples, egal ob die Handlung für die Gegenwart bedeutsam ist oder nicht. Die Wirkung einer Handlung der Vergangenheit für die Gegenwart spielt im Portugiesischen, in sehr krassem Gegensatz zu den anderen romanischen Sprachen, des Deutschen und des Englischen, keine Rolle. Entscheidend ist, ob die Handlung bis in die Gegenwart andauert, was etwas ganz anderes ist, wie wir noch sehen werden.

Schematisch stellt sich die Situation im Deutschen folgendermaßen dar.

nur Imperfekt möglichsowohl Imperfekt wie auch Perfekt möglichnur Perfekt möglich
ErläuterungHandlungen, Ereignisse, Zustände deren Anfang und Ende unbekannt oder für den Sprecher irrelevant sind. Abgeschlossene Handlungen in abgeschlossener Vergangenheit ohne GegenwartsbezugDie Handlung hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Gegenwart des Sprechers
BeispielAls ich zum letzten Mal mit ihm gesprochen habe, war er dabei sein Haus zu renovieren. Er ging mir gewaltig auf die Nerven.
Er ist mir gewaltig auf die Nerven gegangen
a: Hast du das Buch schon gelesen?
B: Ja, hab ich (gelesen).


Wir finden öfter in der Literatur noch eine andere Definition des Imperfektes. Nach dieser Definition ist der Imperfekt die typische Zeit in Erzählungen und Romanen. Das ist zwar richtig, aber lediglich eine Konsequenz der Tatsache, dass das Imperfekt nicht stehen kann, wenn ein enger Bezug zur Gegenwart des Sprechers, Berichterstatters besteht.

Bei einer auktorialen Erzählsituation mit einem omnipräsenten Erzähler, der die Handlung chronologisch schildert, besteht dieser enge Bezug zur Gegenwart nicht. Bei einer personalen Erzählsituation, bei der ein Ich-Erzähler die Handlung aus der Perspektive einer Gegenwart schildert, dürfte der Perfekt wieder auftauchen.

Abgesehen davon ist diese Beschreibung ohnehin sinnlos. Sie reduziert die Funktionen des Imperfektes auf eine formale Übereinkunft, so was wie eine "Benimm Regel". Sprachliche Systeme folgen aber einer weit komplexeren Dynamik, die teilweise ganz fundamental von der Art vorgegeben ist, wie das menschliche Gehirn die Welt verbal darstellen will. Grammatikalische Regeln sind, insofern sie Aussagen machen, wie die außersprachliche Wirklichkeit beschrieben wird, keine Benimm-Regeln à la Knigge und keine willkürlich getroffenen Entscheidungen. Sie beschreiben die Art, wie das Gehirn die außersprachliche Wirklichkeit verbalisiert.

Diese Dynamik muss man verstehen. Wer morgens aus dem Fenster schaut und Schnee sieht, der wird sagen "Es hat geschneit", weil ein unmittelbarer Bezug zur Gegenwart besteht, und nicht "Es schneite", und letzteres klingt nicht deswegen schief, weil irgendein Lehrer Hempel sagt, dass es falsch sei. Es ist falsch, weil ein Bezug zum Sprechzeitpunkt besteht, den das Gehirn darstellen will und das sogar unabhängig davon, was wir logisch finden würden bzw. uns bei logischer Betrachtung gleichgültig wäre, weil es für das Verständnis der Aussage irrelevant ist.

Im Deutschen wie in den romanischen Sprachen, PORTUGIESISCH IST HIER EINE AUSNAHME, spielen also dieselben Aspekte eine Rolle: Unbestimmter Anfang und Ende, abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheit und Bezug zur Gegenwart.

Was Leute, die sich mit romanischen Sprachen beschäftigen anfänglich schwer verwundert, ist die Tatsache, dass im Portugiesischen dieser Bezug zur Gegenwart keine Rolle spielt. Wir kommen darauf zurück. Im übrigen spielen diese drei Aspekte auch im Englischen eine Rolle und wahrscheinlich in allen Sprachen, wo das morphologische Material eine Differenzierung zulässt. Dass der Imperfekt im Schweizerdeutsch verschwunden ist, dürfte eher daran liegen, dass er morphologisch, nicht mehr gebildet werden kann, sich also dem Präsens angenähert hat.

Auf das System im Spanischen, Italienischen und Französischen werden wir jetzt nur kursorisch eingehen. Das ursprüngliche System, das den folgenden Überlegungen zugrunde liegt, geht vom Vorhandensein des pretérito indefinido, passe simple, passado remoto aus. Tatsächlich ist diese Zeit in der Alltagssprache nur noch im Spanischen präsent. Näheres hierzu das Französische betreffend passé simple, Italienisch passato remoto, Spanisch pretérito indefinido.

Der Unterschied zwischen dem ursprünglichen System der romanischen Sprachen, mit Ausnahme eben des Portugiesischen, liegt daran, dass für eine abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheit und einer Handlung, deren Resultat für die Gegenwart bedeutsam ist, im Portugiesischen Zeitensystem nicht unterschieden wird.

In den romanischen Sprachen, mit Ausnahme des Portugiesischen, sind also den drei relevanten Aspekten, unbestimmte Dauer, abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheit, Gegenwartsbezug, jeweils eine der drei Zeiten zugeordnet. Den drei relevanten Aspekten kann aber naheliegenderweise nicht eine bestimmte Zeit zugeordnet werden, wenn es derer nur noch zwei Zeiten gibt. Wir haben also folgendes Bild. (Nochmal: Die Tabelle geht von der Existenz von drei, ohne Plusquamperfekt, Vergangenheitszeiten im Indikativ aus. Für das Französische und Italienische ist das nur noch für die Schriftsprache gültig.)

Zwischen abgeschlossener Handlung in abgeschlossener Vergangenheit und einer Handlung mit Gegenwartsbezug wird im Portugiesischen nicht mehr unterschieden. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied zu allen anderen romanischen Sprachen. Entscheidend ist der Gegenwartsbezug, die letzte Spalte. Auch bei Gegenwartsbezug verwendet das Portugiesische das perfeito simples.

FranzösischSpanischItalienisch PortugiesischEnglischDeutsch
Dauer unbestimmt / Wiederholungimparfaitimperfectoimperfettoimperfeitosimple pastImperfekt
Le tableau était accroché au mur.El cuadro estaba colgado en la pared. Il quadro era appeso alla parete.O quadro estava pendurado na parede The painting hung on the wall.Das Bild hing an der Wand.
Abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheitpassé simplepretérito indefinido passato remotoperfeito simples simple pastImperfekt / Perfekt
Tout d un coup, il tomba par terre.De repente se desplomó en el suelo.Di colpo cadde per terra. De repente, caiu por terra. Suddenly he fell to the ground.Plötzlich stürzte er zu Boden.
Plötzlich ist er zu Boden gestürzt.
Gegenwartsbezugpassé composépretérito perfectopassato prossimoperfeito simples present perfectPerfekt
A: Est-ce que tu as faim?
B: No, j'ai déjà mangé.
A: Tienes hambre?
B: No, ya he comido.
A: Hai fame?
B:No, ho già mangiato.
A:Tens fome?
B:Não, já comi.
A: Are you hungry?
B:No, I have already eaten.
A: Hast du Hunger?
B:Nein, ich habe schon gegessen.


Wie die Tabelle zeigt, ist das Zeitensystem im Deutschen gar nicht so unterschiedlich, wie die Zeitensysteme der romanischen Sprachen oder des Englischen, auch wenn man dies immer und immer wieder und überall lesen kann. Wer tatsächlich abweicht ist das PORTUGIESISCHE, nicht das Deutsche.

Sagen lässt sich lediglich, dass bei abgeschlossener Handlung in abgeschlossener Vergangenheit im Deutschen sowohl das Imperfekt, wie auch das Perfekt verwendet werden kann. Hinsichtlich der unbestimmten Dauer und dem Gegenwartsbezug kann das Imperfekt nicht durch das Perfekt und das Perfekt nicht durch das Imperfekt substituiert werden.

Es ist didaktisch äußerst ungeschickt, das Zeitensystem der romanischen Sprachen so darzustellen, als ob es sich um hermetisch abgeriegelte Systeme handelt, deren inhärente Logik ein Deutsch Muttersprachler nie wird nachvollziehen können. Tatsächlich hat der Deutsch Muttersprachler überhaupt keine Probleme das nachzuvollziehen, die Logik entspricht nämlich weitgehend der des Deutschen.

Der Deutsch Muttersprachler muss sich lediglich seiner unbewusst vorliegenden Sprachkompetenz, bei unbestimmter Dauer und Bezug zur Gegenwart verwendet er die richtige Zeit, bewusst werden. Auf die Frage "Hast du schon gegessen" wird er nie mit "Nein, ich aß schon" antworten. Besteht Grammatikvermittlung allerdings aus auswendig lernen falscher Definitionen, dann bringt das tatsächlich nichts, was, siehe oben, erklärt, warum Grammatik allgemein als gänzlich sinnfreie Beschäftigung angesehen wird.

Wenn aber drei Aspekte, unbestimmte Dauer, abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheit und Bezug zur Gegenwart des Sprechers auszudrücken sind, dann braucht man hierzu eben auch drei Vergangenheitszeiten, die heutzutage nur noch im Spanischen vorhanden sind. Das Französische und das Italienische drücken heute die abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheit bzw. den Gegenwartsbezug mit derselben Zeit aus, üblicherweise dominiert hier die zusammengesetzte Zeit, wobei es in manchen Gegenden Italiens genau umgekehrt ist. In manchen Gegenden Italiens hat sich das passato prossimo verabschiedet. Eindeutig ist die Situation in Frankreich. Das passé simple gibt es nur noch bei Flaubert, Stendhal, Proust etc..

Der Fall des Portugiesischen liegt jetzt etwas anders. Im Portugiesischen hat der Bezug zur Gegenwart nie eine Rolle gespielt, was jetzt natürlich die Hispanohablantes, die Portugiesisch lernen, schwer auf Schleuderkurs bringt. Die haben das gleiche Problem wie alle diejenigen, die sich bereits mit anderen romanischen Sprachen beschäftigt haben. Niemand rechnet erstmal damit, dass zwei eng benachbarte Sprachen, historisch, kulturell und geographisch sich in einem entscheidenden Punkt so wesentlich unterscheiden.

Wer jetzt mit diferença preterito perfeito composto em portugues e espanhol googelt oder bingt (www.bing.de), der findet dann Tausende von Diskussionen über das Thema. Das Thema ist für die Kombination Portugiesisch <=> Spanisch deswegen so kritisch und die Verwirrung deswegen so groß, weil beide Zeiten, also das spanische pretérito perfecto und das portugiesische pretérito perfeito composto, sich formal ähneln, die Verwendung sich aber radikal unterscheidet.

Ein interessantes Beispiel findet sich bei www.duolingo.com, ein von google mit sagenhaften 45 Millionen Dollar gefördertes Unternehmen. Duolingo macht auch Schmalspursprachkurse, also online Lehrbücher, und in dem Kurs Spanisch für Portugiesisch Muttersprachler wurde offensichtlich der pretérito perfecto des Spanischen mit dem pretérito perfeito composto des Portugiesischen übersetzt. Einem, der dort ehrenamtlich mitarbeitet, ist dann aufgefallen, dass das wohl Murks ist, was ihn dann veranlasst hat, den ganzen Kurs zu überarbeiten. Bei der Gelegenheit fasst er auch die unterschiedlichein Funktionen des spanischen pretérito perfecto und des portugiesischen pretérito perfeito simples zusammen.



Pretérito Perfeito Composto em Espanhol
Em espanhol, o pretérito perfeito composto (PPC) serve para:
Expressar um acontecimento do passado em um tempo presente (ou seja, o momento da fala inclui o presente do falante):
Las cosas han mejorado mucho desde que estoy aquí / Este año ha llovido mucho en Salvador.
Indicar que os fatos realizados no passado possuem consequências no presente:
Yo he perdido las llaves de mi casa esta mañana / Me han echado del trabajo, estoy muy nerviosa.Aproximar narrativamente os fatos: Hace tres años que se ha llevado mi perro a la hacienda, y aún no me he acostumbrado a estar sin él.

Pretérito Perfecto im Spanischen

Im Spanischen hat der pretérito perfecto folgende Funktionen:
Er drückt ein Ereignis der Vergangenheit in der Gegenwart aus (soll heißen, der Zeitpunkt der Rede beinhaltet die Gegenwart des Sprechers:)
Las cosas han mejorado mucho desde que estoy aquí. <=> Die Verhältnissen haben sich sehr verbessert, seit ich da bin. Este año ha llovido mucho en Salvador. <=> Dieses Jahr hat es in Salvador viel geregnet.
Er drückt aus, dass ein Ereignis der Vergangenheit Konsequenzen für die Gegenwart hat.
Yo he perdido las llaves de mi casa esta mañana. <=> Ich habe heute morgen meine Hausschlüssel verloren. Me han echado del trabajo. Estoy muy nerviosa. <=> Man hat mir gekündigt, ich bin sehr nervös. Die Ereignisse in die Nähe des Sprechzeitpunktes rücken: Hace tres años que se ha llevado mi perro a la hacienda, y aún no me he acostumbrado a estar sin él. <=> Vor drei Jahren wurde mein Hund auf die Farm gebracht und ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, ohne ihn zu sein.

Pretérito Perfeito Composto em Português

Para nós, falantes nativos de português, é muito mais fácil entender esse tempo verbal. Prestem atenção nessa frase:

Eu tenho viajado muito para Paris.

Como vocês devem ter percebido, o PPC em português serve para expressar fatos que acontecem repetidamente e continuadamente. Ou seja, esse tempo verbal na nossa língua possui um aspecto iterativo, de algo que começou no passado e vem acontecendo no presente. Trata-se de uma particularidade da língua portuguesa que não se encontra em nenhuma outra língua que eu tenha conhecimento.

Outros exemplos: Eu tenho ficado em casa depois das aulas / Eu tenho dormido após as refeições, mas minha mãe não gosta. / Minha avó tem jogado futebol melhor do que vocês.
Pretérito Perfeito Composto im Portugiesischen

Für uns, die wir Portugiesisch als Muttersprache haben, ist diese Zeit sehr viel einfacher zu verstehen. Schaut euch diesen Satz an.

Eu tenho viajado muito para Paris. <=> Ich bin in letzter Zeit öfters nach Paris gereist.

Wie ihr sicher bemerkt habt, wird der pretérito perfeito composto im Portugiesischen verwendet um Ereignisse zu schildern, die sich immer wieder wiederholt haben. Soll heißen, diese Zeit betont in unserer Sprache die Wiederholung von etwas was in der Vergangenheit angefangen hat und bis in die Gegenwart immer wieder geschieht. Es handelt sich um eine Besonderheit der portugiesischen Sprache, die es in keiner anderen Sprache, die ich kenne, gibt.

Andere Beispiele: Eu tenha ficado em casa despois das aulas. <=> Nach dem Unterricht bleibe ich gewöhnlich zu Hause. Eu tenho dormido após as refeições, mas minha mãe não gosta. <=> Gewöhnlich schlafe ich nach dem Essen. Aber meiner Mutter gefällt das nicht. Minha avó tem jogado futebol melhor do que vocês. <=> Mein Opa spielt besser Fußball als ihr.
Nota de esclarecimento sobre o Pretérito Perfeito Composto



Das ist in der Tat richtig. Der spanisch pretérito perfecto stellt, wie auch das deutsche Perfekt, eine Verbindung zur Gegenwart her.

richtig: Ich habe heute meinen Hausschlüssel verloren und komme jetzt nicht in meine Wohnung.
nicht: Ich verlor heute morgen meinen Hausschlüssel und komme jetzt nicht in meine Wohnung.

Der Unterschied zwischen dem Spanischen und dem Deutschen besteht lediglich darin, dass das Spanische für eine abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheit eine eigene Zeit hat, das indefinido, welches aber gerade nicht, auch wenn der Name das suggeriert, undefiniert ist. Ganz im Gegenteil. Die Handlung, die im indefinido beschrieben wird, ist abgeschlossen. In dieser Situation, abgeschlossene Handlung in abgeschlossener Vergangenheit, verwendet das Deutsche das Perfekt oder das Imperfekt, beides ist möglich, was dann viele Leute zu der irrigen Annahme verleitet, dass das Imperfekt immer gegen das Perfekt substituierbar ist, was aber nicht der Fall ist, siehe oben.

Bei den Beispielen oben, dem Beitrag von Duolingo, wurden Beispiele gewählt, die eine Angewohnheit einer Person beschreiben. Man kann auch ohne gewöhnlich übersetzen, aber dann wird der Satz zweideutig.

Beim portugiesischen pretértio perfeito simples kann man sich streiten, ob es überhaupt eine Vergangenheitszeit ist. Oft kann man das portugiesische pretérito perfeito composto nämlich mit einem schlichten Präsens übersetzen, auch wenn dann noch ein Adverb nötig ist, um Zweideutigkeiten zu vermeiden. Das deutsche Präsens kann auch einen Bezug zur Vergangenheit herstellen. Mit einem schlichten Präsens kann übersetzt werden, wenn eine Gewohnheit beschrieben wird. (Nicht zu verwechseln mit einer allgemeinen Feststellung, siehe unten.)

1) Eu tenho dormido após as refeições. <=> Gewöhnlich schlafe ich nach dem Essen.
2) Eu tenho dormido após as refeições. <=> Ich schlafe nach dem Essen.

Satz 1) ist eindeutig. Nach dem Essen macht er ein Nickerchen. Satz 2) ist zweideutig. Er kann bedeuten, dass er nach dem Essen einmalig ein Nickerchen macht oder prinzipiell eine Siesta macht nach dem Essen. In dieser Verwendung, als Angewohnheit einer bestimmten Person oder als ein Vorgang, der sich in der Vergangenheit bis zum Sprechzeitpunkt regelmäßig wiederholt, hat das Deutsche gar keine Alternative. Nur das zweideutige Präsens kann diesen Sachverhalt ausdrücken.

(Das Spanische hätte eine Alternative, die Verbalperiphrase llevar + gerundio siehe llevar + gerundio. Es gäbe gewichtige Argumente, das pretérito perfeito composto gar nicht als Zeit anzusehen, sondern als Verbalperiphrase, denn die Bedeutung des pretérito perfeito composto ist sehr speziell.)



preteirito perfeito composto zur Beschreibung von Handlungen die bis in die Gegenwart andauern
Cláudia tem levado seus filhos à escola. <=> Claudia bringt ihre Kinder zur Schule. (an jedem Schultag)
Cláudia leva seus filhos à escola. <=> Claudia bringt ihre Kinder zur Schule. (an einem bestimmten Tag, normalerweise fahren sie mit dem Bus.)


Die Regel mit der Gewohnheit sollte man allerdings nicht überstrapazieren. Zur Beschreibung einer Gewohnheit wird das pretérito perfeito composto nur dann verwendet, wenn diese Angewohnheit, dieser Prozess, dieses Ereignis auf eine bestimmte Gruppe beschränkt ist, also nicht eine allgemeingültige Aussage ist.




Allgemeine Aussage <=> regelmäßige Wiederholung
1) allgemein gültige Tatsache:
Eles falam português.
2) bestimmte Gruppe in einem spezifischen Zusammenhang:
Eles têm falado português.

Handelt es sich um eine allgemeine Aussage, dann wird auch im Portugiesischen das Präsens benutzt. Ein Satz wie in 2) kann auftauchen, aber nur in einem spezielleren Kontext. Wenn eine bestimmte Gruppe, die normalerweise eine andere Sprache spricht, immer mal wieder Portugiesisch sprach und in der Gegewart des Sprechers / Berichterstatters immer mal wieder spricht, dann kann man sagen "Eles têm falado português". Anderes Beispiel:

1) Naturgesetz: A Terra gira em torno do Sol. = Die Erde dreht sich um die Sonne.
2) witzig: A terra tem girado em torno do Sol. = Die Erde dreht sich gewöhnlich um die Sonne.
3) witzig: A terra vem girando em torno do Sol. = Die Erde hat sich in letzter Zeit um die Sonne gedreht.

Bei 2) und 3) kommt es darauf an, wie "gewöhnlich" und "in letzter Zeit" zu verstehen ist, welcher Zeitraum damit gemeint ist. Handelt es sich um einen Zeitraum von mehrere Milliarden Jahren, ist das ok. Handelt es sich um menschlich überschaubare Zeiträume, also so 60000 Jahre, ist das schlecht, denn dann könnten sich die Verhältnisse ja in menschlich überschaubaren Zeiträumen wieder ändern und bald alle Lichter ausgehen. Egal was Luther sagt, unter diesen Auspizien würde die Motivation Apfelbäumchen zu pflanzen ganz erheblich sinken. Anders formuliert: Satz 2) und 3) sind zwar lustig, aber unsinnig. Über 3) müssen wir noch zwei Sätze verlieren. Es handelt sich hierbei um eine sogenannte Verbalperiphrase, was uns im Moment nicht besonders interessiert. Gebildet wird sie mit vir + gerundio, was uns aber im Moment auch nicht interessiert. Mit dem Gerundio befassen wir uns in 18.1.1. Uns geht es im Moment um etwas Inhaltliches. Dem pretérito perfeito composto entspricht weitgehend die Verbalperiphrase vir + gerundio.

Venho trabalhando muito ultimamente.
Komme arbeitend viel in letzter Zeit.
Ich arbeite in letzter Zeit viel.*
Ich habe in letzter Zeit viel gearbeitet.*
* Will man im Deutschen betonen, dass er die letzten Tage viel gearbeitet hat und immer noch viel arbeitet, würde man eher das Präsens verwenden. Wenn er vorhat, es in der Gegenwart entspannter angehen zu lassen, würde man das Perfekt wählen.


Brasilianer sind sehr oft der Meinung, dass eine Konstruktion vom Typ, Tenho trabalhado muito ultimamente, also der pretérito perfeito composto, dem present perfect continuous im Englischen I have been working a lot recently entspricht. Das dürfte weitgehend richtig sein.

Vereinfacht lässt sich also folgendes sagen. Das System ist im Portugiesischen etwas verschoben. Im Spanischen, Französischen, Italienischen, Englischen und Deutschen hängt die Verwendung des Perfekts, also haben im Präsens + Partizip Perfekt, vom Gegenwartsbezug ab.

Hat das Ergebnis einer Handlung der Vergangenheit für die Gegenwart noch eine Bedeutung, dann wird in diesen Sprachen das Perfekt verwendet. Das ist auch im Deutschen so.

(richtig: Man hat mir meinen Geldbeutel geklaut, ich kann die Rechnung nicht bezahlen. / falsch: Man klaute mir meinen Geldbeutel, ich kann die Rechnung nicht bezahlen.)

Der pretérito perfeito composto im Portugiesischen aber wird verwendet, wenn ein Vorgang, eine Handlung, ein Ereignis sich bis in die unmittelbare Gegenwart des Sprechers wiederholt. Ob das Ergebnis dieses Vorganges, dieser Handlung oder dieses Ereignisses für die Gegenwart bedeutsam ist, spielt keine Rolle. Das klingt zwar ähnlich, ist aber was total anderes.

Das Andauernde einer Handlung bzw. die ständige Wiederholung einer Handlung bis in die Gegenwart, kann das Spanische, Französische, Italienische und Deutsche nicht über Zeiten ausdrücken. Ist der andauernde Charakter eines Vorgangs, einer Handlung, eines Ereignisses eine wesentliche Aussage, dann muss in diesen Sprachen auf eine adverbiale Bestimmung bzw. auf eine Verbalperiphrase ausgewichen werden. Im Englischen ist dann mit dem present perfect continuous zu konstruieren.



DeutschPortugiesischEnglischSpanischItalienischFranzösisch
allgemeine Aussage:Es regnet viel. Chove muito. It rains a lot.Llueve mucho.Piove molto.Il pleut beaucoup.
wiederkehrend bis zum Sprechzeitpunkt und eventuell darüber hinaus:Es regnet schon die ganze Zeit. Tem chovido. It has been raining.Ha estado lloviendo.Ha piovuto molto ultimamente.Il a plu beaucoup ces derniers jours.
einmalig in der Vergangenheit, abgeschlossen:Es regnete. Chuveu. It rained.Llovió.Piové.Il plut.
Auswirkung auf die Gegenwart des Sprechers:Es hat geregnet, ich bin klatschnass. Chuveu, estou encharcado. It has rained, I am soaking wet.Ha llovido, estoy todo mojado.Ha piovuto, sto bagnato.Il a plu beaucoup, je suis tout mouillé.
andauernd in der Vergangenheit:Es regnete. Chuvia. It rained.Llovía. Pioveva.Il pleuvait.


Schauen wir uns die schematische Darstellung an, erkennen wir folgendes. Handelt es sich um allgemeine Aussagen, was z.B. bei Naturgesetzen wie "die Erde dreht sich um die Sonne" der Fall ist, dann verwenden alle Sprachen das Präsens.

Hierbei handelt es sich zwar auch um Ereignisse, die sich ständig wiederholen, bis in die unmittelbare Gegenwart des Sprechers und darüber hinaus andauern, aber der Standpunkt des Sprechers ist hier schlicht egal.

Für Handlungen, die sich bis in die unmittelbare Gegenwart des Sprechers wiederholen bzw. andauern, hat nur das Portugiesische eine bestimmte Zeit reserviert, das pretérito perfeito composto eben. Dieses stellt aber nicht auf die AUSWIRKUNG des Ereignisses auf die Gegenwart des Sprechers ab bzw. auf die subjektive Bedeutung, die dieser Sprecher diesem Ereignis oder dieser Handlung für die Gegenwart beimisst, sondern auf die schlichte Tatsache, dass sich die Handlung bis in die Gegenwart des Sprechers wiederholt oder andauert.

Eine bestimmte Zeit gibt es dafür in anderen Sprachen nicht. Kommt es auf den andauernden Charakter bzw. die Wiederholung des Vorgangs bis in die Gegenwart an, kann in anderen Sprachen nur mit der Verlaufsform, mit einer Verbalperiphrase oder mit einer adverbialen Bestimmung konstruiert werden.

Bei abgeschlossener Handlung in abgeschlossener Vergangenheit ist es wieder einfach. Hier verwenden alle Sprachen eine nicht zusammengesetzte Vergangenheitszeit.

Am kritischsten ist die Situation, wenn die Konsequenzen einer Handlung in der Gegenwart des Sprechers spürbar sind, bzw. der Sprecher subjektiv von dieser Handlung berührt ist. In diesem Fall benutzen alle Sprachen, bis auf das Portugiesische eben, eine zusammengesetzte Zeit, haben im Präsens + Partizip Perfekt (wie 'Ich habe gemacht'), und die Verwendung einer nicht zusammengesetzten Zeit (wie 'ich machte') wäre ein sehr grober Verstoß gegen die Standardgrammatik.

Das erklärt die sehr breite Diskussion über das pretérito perfeito composto auf allen Ebenen. Egal was die Muttersprache ist, es besteht die Tendenz, das perfeito perfeito composto zu verwenden, wenn das Ergebnis einer Handlung, eines Vorganges, eines Ereignisses für die Gegenwart bedeutsam ist. Umgekehrt werden Brasilianer bzw. Portugiesen dazu neigen in dieser Situation auch im Spanischen das pretérito perfeito simples zu verwenden, also das pretérido indefinido, was dann einen sehr groben Verstoß gegen die spanische Standardgrammatik darstellt.

Es gibt nur eine spezielle Situation, wo das portugiesische pretérito perfeito composto mit einem pretérito perfecto übersetzt werden kann. Das spanische pretérito perfecto ist erstmal hinsichtlich der Frage, ob eine Handlung kurz vor der Gegenwart des Sprechers einmalig stattgefunden hat, sich bis in die Gegenwart wiederholt hat, bzw. noch andauert, indifferent. Wie der Satz zu verstehen ist, ergibt sich aus den adverbialen Bestimmungen. Tauchen adverbiale Bestimmungen wie mehrere Male, öfters, in letzter Zeit etc. auf, dann handelt es sich um Handlungen, Ereignisse, Vorgänge, die sich kurz vor dem Sprechzeitpunkt ereignet haben.

Spanisch:Este año se lo he dicho ya varias veces. => Ich habe ihm das dieses Jahr schon ein paar Mal erzählt.
Spanisch:Ya se lo he dicho este año. => Ich habe ihm das dieses Jahr schon gesagt.


Wie der pretérito perfecto zu verstehen ist, ergibt sich aber nicht aus der Zeit selbst, sondern aus den adverbialen Bestimmungen.

In der Literatur finden sich nun oft Erklärungen, die den pretérito perfeito composto von Signalwörtern wie ultimamente (in letzer Zeit), nas últimas semanas (in den letzten Wochen), até agora (bis jetzt), ainda não etc. abhängig machen und dann den portugieischen pretérito perfeito composto mit dem spanischen pretérito perfecto übersetzen. Das ist eine ganze schlechte Idee.

Bezogen auf diesen Spezialfall stimmt es zwar, suggeriert aber, dass dem immer so ist, der pretérito perfeito composto immer mit dem pretérito perfecto übersetzt werden kann, was überhaupt nicht zutrifft. In Sätzen wie diesen stimmt es.

Portugiesisch: Ultimamente os pássaros tem cantado na janela da cozinha todos os dias.
Spanisch: Últimamente los pájaros han cantado en la ventana de la cocina.
Deutsch: In letzter Zeit zwitscherten die Vögel im Küchenfennster.


Es ist im Spanischen nicht die Zeit, die verdeutlicht, dass sie da nicht einmalig gezwitschert haben, sondern das últimamente. Der pretérito perfecto würde auch dann verwendet werden, wenn sie das nur einmal tun. Dann steht im Portugiesischen aber der pretérito perfeito simples.

Spanisch: Hoy por la mañana los pájaros han cantado en la ventana.
Portugiesisch: Esta manhã os pássaros cantaram na janela da cozinha.
Deutsch: Heute morgen zwitscherten die Vögel im Küchenfenster.

Haben wir also im Spanischen ein Signalwort wie últimamente, hoy,esta semana etc. das einen Bezug zur Gegenwart herstellt, dann steht im Spanischen der pretérito perfecto. Handelt es sich dann noch um eine Handlung die explizit als sich wiederholend beschrieben wird, bzw. wo der Kontext dies implizit suggeriert, dann haben wir im Portugiesischen einen pretérito perfeito composto, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen.

Im Deutschen ist das soit dit en passant wie im Spanischen. Der deutsche Perfekt hat zwar einen Bezug zur Gegenwart, ob es sich allerdings um eine Handlung handelt, die sich bis zum Sprechzeitpunkt wiederholt bzw. hinzieht, ergibt sich aus dem Kontext bzw. aus den adverbialen Bestimmungen oder Adverbien.

Zum Abschluss, bevor wir uns mit der Bildung der verschiedenen Zeiten beschäftigen, noch eine gute und eine schlechte Nachricht.

Die gute Nachricht ist, dass das etwas undurchsichtige pretérito perfeito composto selten auftaucht. In einem spanischen Text oder Gespräch haben wir wohl so eine Verteilung von fifty / fifty auf pretérito perfecto und indefinido. In einem längeren portugiesischen Text kann es auch sein, dass er schlicht nie auftaucht.

Wenn man sich also mit dem portugiesischen pretérito perfeito composto gar nicht anfreunden kann, kann man einfach den pretérito perfeito simples wählen. Unter Umständen sagt man dann vielleicht ab und an nicht genau das, was man eigentlich sagen will, unter Umständen sagt man dann 'sie hat ihre Kinder in die Schule gebracht' anstatt 'sie bringt (jeden Morgen) ihre Kinder in die Schule', aber die Situationen, wo man den pasado perfeito composto wirklich braucht, sind eher selten.

Wenn man Spanisch spricht sollte man es allerdings unterlassen, immer da, wo das Spanische mit einem pretérito perfecto konstruiert mit einem portugiesischen pretérito perfeito composto zu konstruieren. Das geht ganz überwiegend schief.

Die schlechte Nachricht ist, dass der pretérito perfeito simples im Portugiesischen viel bedeutsamer ist. Das ist deswegen schlecht, weil die Bildung vieler Verben im pretérito perfeito simples unregelmäßig ist. Genau die Zeit, die man immer braucht, ist also schwierig zu bilden.


Das Phänomen ist an sich erstaunlich. Der französische passé simple bzw. der italienische passato remoto haben sich wahrscheinlich deswegen verabschiedet, weil die Bildung zu kompliziert ist. Ist die Bildung einer Verbform kompliziert oder allgemeiner, gibt es zur Regel sehr viele Ausnahmen, dann tendieren alle Sprachen dazu, das System zu vereinfachen. Das dürfte auch den Tod des deutschen Konjunktivs erklären, siehe der deutsche Konjunktiv. Das Französische bzw. Italienische waren also so freundlich, den an Frankreich bzw. Italien Interessierten entgegenzukommen. Das Portugiesische sieht das anders. Dieses hält sich an die Devise per aspera ad adstra, durch das Raue zu den Sternen.

Wir arbeiten jetzt auf jeden Fall die Vergangenheitszeiten entsprechend ihrer Relevanz ab. Zuerst der pretérito perfeito simples, dann der imperfeito, dann der mais-que-perfeito-composto und zu guter letzt der pretérito perfeito composto. Bei dieser Gelegenheit gehen wir auch nochmal detaillierter auf die Verwendung dieser Zeiten ein.






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